Das empfahl schon Kurt Tucholsky vor über achtzig Jahren als Rezept gegen provinzielle Enge. Ergänzende Empfehlung seitens ORGANpromotion: Einmal die 67 Stufen zum Organistenhimmel, der Cavaillé-Coll-Orgel in Saint Sulpice, hinaufsteigen. Und rund 100 Organisten, Orgel- und Kirchenmusikstudenten und Orgelfreunde aus aller Welt waren gekommen.
150 Jahre Orgel von Saint Sulpice, der 75. Todestag von Charles-Marie Widor, dazu ein rundes Jubiläum von Maître Daniel Roth, das gibt es nicht alle Tage. Grund zum Feiern und Anlass für 5 Tage Studientagung Paris mit einem dichten, breit gefächerten Programm aus Vorträgen, Konzerten, Klangdemonstrationen und einem Orgelkurs mit Daniel Roth.
Dr. Kurt Lueders begleitete die Tagung wissenschaftlich und zeichnete die Situation Mitte des 19. Jahrhunderts und die Entwicklung zur französisch-sinfonischen Orgel in seinem Vortrag „1862 Saint Sulpice – wie ging es weiter?“ nach. So wurden die einmaligen Pariser Orgeln im musikgeschichtlichen Kontext erfahrbar. Beispielsweise die altfranzösische Orgel von Saint Gervais, Cavaillé-Colls Originale in Saint Sulpice, Saint Louis d´Antin und in Saint Maurice de Bécon, Instrumente seines Umfelds in Notre-Dame des Blancs-Manteaux oder neuere Orgeln wie Saint Severin und Saint Louis en l’Île. Ein Besuch in La Trinité zum 20. Todestag von Olivier Messiaen rundete den Bogen der Eindrücke ab.
Es ist überwältigend, die weltberühmten Instrumente mit ihren charakteristischen Klängen in Natura zu erleben, seien es die Voix céleste, die Flûte harmonique oder die ungeheuer kraftvollen Zungenstimmen, die das Plenum prägen. Neben adäquater Literatur gab es Beispiele für die hinreißende Improvisationskunst der hochkarätigen Interpreten zu hören. Dank des freundlichen Entgegenkommens der Titulaires war es auch für Teilnehmer möglich, die Orgeln selbst zu spielen.
Die Tagungsteilnehmer kamen aus Deutschland, Dänemark, Norwegen, Holland, Österreich, Großbritannien, der Schweiz und aus den USA in Paris zusammen. Gelegenheit, einander kennen zulernen und Kontakte zu knüpfen.
Im Zentrum der Reise stand ein Orgelkurs mit Daniel Roth in Saint Sulpice. Per Videoübertragung und Großleinwand konnten alle Teilnehmer optisch teilhaben am Spieltischgeschehen und in drei Nächten ging so mancher Traum in Erfüllung: einmal in Paris, einmal auf dem Buhlewahr und einmal eine Nacht allein in Saint Sulpice mit den Klängen von Cavaillé-Coll, im „roten Salon“ sitzen bei Charles-Marie Widor und Albert Schweitzer.
„In ihrer uralten Majestät spricht die Orgel wie ein Philosoph: Sie kann als einziges unter den Instrumenten ein unveränderliches Tonvolumen entfalten und damit die religiöse Idee des Unendlichen zum Ausdruck bringen“ (Charles-Marie Widor).
(Walter Blum, Tübingen)